Eine Briefwechsel zum Buch "Wer hat den Schnee gestohlen", erschienen 2018 im Urachhausverlag von Ulrike Jänichen und Yaroslawa Black

21. September, 21:38 Uhr

Liebe Ulrike,

vorhin hat Helmut bei uns geklingelt und das Buch gebracht. Ich habe mich auf´s Bett gelegt und Seite für Seite genossen. Es berührt mich, vielen Dank.
Wie ist es für Dich, wie fühlt es sich an, dieses Buch in den Händen zu halten und zu wissen, dass es bald bei vielen Menschen liegen wird, vorgelesen und angeschaut?

Lichte Grüße durch den dunklen Abend von Astrid.



22. September, 23:02 Uhr


Liebe Astrid, 

danke Dir und zu Deiner Frage - da ist Freude. Aufregung. Unsicherheit. Ungeduld.

Freude, weil es endlich fertig ist.
Aufregung, weil ich es nun aus den Händen gebe.
Unsicherheit, weil ich mit diesem Buch auch sehr Persönliches öffentlich mache.
Ungeduld, weil es eine Zeit brauchen wird, um zu wissen, wie die Welt darauf reagiert.

Und, so wirklich real, fühlt es sich auch noch nicht an.
Ich selbst nehme das Buch gerade immer wieder in die Hand, blättere es durch - wahrscheinlich um mich zu vergewissern, dass es da ist und dass es gut so ist, wie es ist.

u.

 


24. September, 17:53 Uhr

Liebe U.,

fast zeitgleich mit der Freude, erzeugt dein Buch einen Stich in mir. Etwas zieht sich zusammen und schmerzt. Der Schnee. Ich vermisse ihn auch. Für mich und für meine Kinder. Für uns alle.
Ich fühle Traurigkeit darüber, dass er längst nicht mehr natürlicher Bestandteil unseres Lebens ist. Und ein kleiner Hohn taucht in mir auf: „ Wäre es doch so einfach mit dem Wünschen…“ und gleichzeitig die Frage, ob es alles ist, was uns zu tun bleibt: das Wünschen. Wie ist das für Dich und wie gehst Du damit um?

a.

 


24. September, 22:42 Uhr

Liebe A.

Das Wünschen - Im ersten Moment scheint es eine oberflächliche Antwort auf ein so großes Thema. Aber das Buch erzählt ja auch die Geschichte aus Sicht der Kinder. Und sie haben ein Recht darauf, daran zu glauben, dass all ihre Wünsche in Erfüllung gehen können. Ein Recht, das ich "Große" mit jeder Erkenntnis, jedem neuen Wissen Stück für Stück verliere - denn ich weiß um die Probleme, ich weiß um deren scheinbare Unlösbarkeit, ich weiß um all die unfassbar schrecklichen Dinge, die auf dieser Welt geschehen und unsere Zukunft in Frage stellen. Und um daran nicht zu verzweifeln verdränge ich, versuche, dass mir Mögliche zu tuen und gebe die Hoffnung nicht auf, dass dies - und mag es noch so unbedeutend sein - in irgendeiner Form von Nutzen sein kann. Und dies alles mit dem WUNSCH, dass unsere Kinder eine Zukunft haben können, eine Zukunft mit Schnee und Sonne und Regen zur rechten Zeit, mit Bienen und Blumen und Bäumen und Menschen, die all dem und sich selbst mit Achtsamkeit und Ehrfurcht begegnen.
Indem ich meinen Kindern diese Geschichte so erzähle, lasse ich sie an ihre Wünsche glauben - sicher auch, weil ich selbst so gern an die Kraft von Wünschen glauben möchte - muss mich aber gleichzeitig der Verantwortung stellen, ob ich alles irgendwie Mögliche dafür tue, dass sich das Erwachen von Gerda am Wintermorgen nicht eines Tages als Traum herausstellt. Und ist ein Wunsch nicht der Anfang jedes Handelns?

Herzlichst, Ulrike


26. September, 18:42 Uhr

Liebe U.

Was glaubst Du ist „alles irgendwie Mögliche“? Was gibt es in deinem Augen zu tun und was zu lassen?

Fragende Grüße, weil ich rätsle. A.


27. September, 23:30 Uhr

Liebe Astrid,

ich kann diese Frage nicht beantworten, ich weiß es einfach nicht.
Ich glaube, das "irgendwie Mögliche" ist das, was ich persönlich jetzt in diesem Moment, an diesem Tag leisten kann.
Gestern war es ein reparierter Pullover, obwohl ich todmüde war, heute ist es die Zeit, die ich mir nehme, um meinen Kindern von der großen, so wunderbaren Welt zu erzählen, morgen ist es vielleicht eine Unterschrift an der richtigen Stelle, eine Ansage, bei der ich Position beziehe und mich nicht verstecke, ein Zugehen auf jemanden, der mir fremd ist oder, wenn die Kraft reicht, wirklich Verantwortung in einem Projekt zu übernehmen, in dem Menschen gemeinsam nach Lösungen suchen.
Egal was, ich kann mich in allem was ich tue entscheiden, wie ich es tue und ich glaube daran, dass auch 1000 kleine Gesten etwas verändern können, denn jedes Handeln und sei es noch so unscheinbar, ist besser, als zu verharren und zu zweifeln.

PS: Oder mache ich es mir mit dieser Antwort zu einfach?

Ich finde To-Do-Listen für die Rettung der Welt schwierig, sie wurden und werden geschrieben und vieles davon ist uns doch vertraut und müsste schon längst selbstverständlich sein. Die Frage ist doch vielmehr, warum wir nicht danach handeln und an vielen Punkten einfach "so weiter machen" wie bisher? Jeder Einzelne und alle gemeinsam?

Wo liegt eigentlich unser Problem?

U.


15. Oktober, 23:23 Uhr

Liebe Ulrike,

ich glaube das Problem liegt in unserem Getrennt-Sein von uns selbst und allem was uns umgibt. Es ist ein kolossaler Trugschluss, dass wir Menschen einander und unsere Erde nicht brauchen, ja fast schon, dass es uns alleine besser gehen würde. So oft wird Schmerz und Leid im Kontakt erfahren, alte Wunden reißen auf und Streit und Kampf entsteht. Allem voran gegen sich selbst. Wann immer wir lieblos mit uns sind, wann immer wir uns übergehen, unsere Wahrheit nicht aussprechen, ja sagen und nein fühlen, wann immer wir essen oder arbeiten oder konsumieren, um nicht zu fühlen… sind wir im Widerstand mit dem was ist. 

Neulich habe ich gelesen, dass wirklich vorausschauendes Handeln die Frage beinhaltet, wie sich mein Handeln heute auf die nächsten sieben! Generationen auswirkt. Wir fragen uns oftmals nicht einmal wie es sich auf uns und unsere Familie in den nächsten Wochen auswirkt. Wir ignorieren endlos, weil…. ja warum? Die Wahrheit ist, dass wir alle die gleiche Luft atmen, dass wir untrennbar miteinander und mit unserer Erde verbunden sind. Das ist wunderschön und sehr sehr schmerzhaft. Die Frage, die ich mir oft stelle ist also: Wie kann ich Verbundenheit leben? Mit mir selbst, mit den Menschen die mir begegnen und mit allem was mich umgibt. 

a.


17. Oktober, 01:23 Uhr

Liebe Astrid,

da wollt ich´s mir nur kurz nochmal durchlesen, dann ein paar Gedanken festhalten und nun ist´s fast halb zwei.....Schlaf gut!

Etwas verändern zu wollen heißt, verstehen zu wollen, sich den Problemen und der damit verbundenen Angst zu stellen und vertraute, scheinbar sichere Gewohnheiten abzulegen. Und dies erfordert das Zugehen auf das Selbst. Ich denke, dass das Problem, das Hindernde, getarnt hinter Bequemlichkeit, Desinteresse oder Gedankenlosigkeit, oft gerade die Angst vor der Auseinandersetzung mit dem Selbst (und damit auch mit mir, mit den von mir am meisten geliebten Menschen als untrennbar mit dieser Welt verbundenen Wesen) ist. 

Schaue ich mir heute den Zustand unserer Welt an, ist dies an vielen Punkten soooo schmerzhaft, so beängstigend und hoffnungslos - sich dem wirklich zu stellen, erfordert so viel Kraft und Mut, weil es schier unmöglich erscheint. Schmerz zulassen, trauern und aus dieser Trauer die Kraft gewinnen, etwas verändern zu wollen. Alles beglückende, hoffnungsvolle verteidigen, nicht gegen etwas, sondern für etwas kämpfen! Und hier schreibe ich im Moment gerade bewußt kämpfen, nicht einstehen, weil es vorwärtsstrebt, ein aktives Handeln einfordert, ein Zugehen auf Probleme - kämpfen im positiven Sinne, mit friedlichen Mitteln.

Wie kann ich Verbundenheit leben, vielleicht, indem ich Verantwortung übernehme, für mich, den anderen und die Welt.

U.


17. Oktober, 21:30 Uhr

Liebe Ulrike,

ich übe mich in Hingabe und Annahme an das was sowieso ist. Und mein Widerstand ist groß. Gegen alles mögliche, immer wieder. Und jetzt haben wir das theoretisch erfasst und gedanklich erörtert. Wir haben uns Erklärungen geschrieben und einander geöffnet. Und jetzt? Was machen wir damit?

Dieses Jahr gibt es so ungewöhnlich viele Eicheln und Nüsse. Evas Mutter hält das für ein Zeichen der Natur, wir und die Tiere dürfen sich noch einmal besonders große Vorräte anlegen - es kommt eine harte Zeit.

Um Eicheln für den Menschen essbar und verträglich zu machen, hängte man sie früher für drei Tage in einen Fluß. Das fließende Wasser hat die Gerbsäure und andere für den Menschen schädliche Stoffe aus den Eicheln herausgespült und mit sich genommen. Und so frage ich mich: in welchen Fluss soll ich sie hängen, unsere gesammelten Eicheln? (Was nimmt das Wasser heute mit und was fügt es den Eicheln hinzu?)

Schon manchmal auch verzweifelte Grüße von A.




18. Oktober, 9:42 Uhr

Liebe Astrid,

die Frage mit dem Fluss kann ich nicht beantworten, weiß nur, dass "unser" Fluss hier heute viel sauberer ist, als noch vor 30 Jahren. Glas halbvoll oder halbleer?

Ich habe zum Thema "viele Eicheln", dass Gespräch mit einem Förster gehört. Dass die Eicheln für uns Menschen ungenießbar sind, hat seinen Sinn. Die Natur behält sie den Tieren vor und braucht die Früchte als Samen.

Viel-Eichel-Jahre gibt es ca. aller 5-10 Jahre. Sie werden genutzt, um möglichst viele Eicheln für die Anzucht neuer Bäume zu sammeln - 1kg ca. 100 Setzlinge. Eichen haben die Trockenheit des Sommers Dank ihrer tiefen Wurzeln relativ gut überstanden. Sie könnten die Grundlage für gesunde Mischwälder bieten, die wir dringend brauchen und die den Belastungen von Extremwetterlagen durch den Klimawandel am ehesten widerstehen können. 

Bäume Pflanzen ist ein Generationenprojekt. Eichen, die heute gepflanzt werden, prägen unser Landschaftsbild in 200 Jahren- sieben Generationen.

Lass uns Bäume pflanzen! Vielleicht können wir dann auch irgendwann die Eicheln wieder in den Fluss hängen.

U.


19. Oktober, 11:22 Uhr

Liebe Ulrike,

deine Antwort stimmt mich froh.

Und sie zeigt mir ganz deutlich, worum es auch geht (und vielleicht sogar vor allem?) Wie bewerten wir Informationen? Wie denken wir darüber? Wie sehr sehen und fühlen wir in allem das große Drama?

Die positive Sichtweise, oder besser noch, die neutrale (wertfreie) ist so hilfreich und nützlich, um in die eigenen Mitte und Kraft zu kommen und zu bleiben.

Für mich ist dein Buch ein Baum liebe Ulrike. Einer, der mich daran erinnert, dass wir lebendige, mächtige Wesen sind, die zu jeder Zeit wählen und wünschen und gestalten und erschaffen.

A.




Ulrike, bzw. der Verlag Urachhaus hat Räubersachen zwei dieser wunderbaren Bücher zur Verfügung gestellt. Wir verlosen sie an euch. Bitte kommentiert hier, bei Facebook oder Instagram, wenn ihr eins gewinnen möchtet. Darüber hinaus möchte ich euch das Buch wirklich sehr ans Herz legen. Es ist eine wundervolle Geschichte mit seelenvollen, handgezeichneten Bildern.

P.S. Es ist magisch, während ich hier diesen Beitrag vorbereite, fällt vor dem Fenster der erste Schnee. (Astrid)

Kommentare (4)
  • Christin
    Über das Buch würde ich mich sehr freuen. Ihr habt mich sehr neugierig gemacht! Euer Briefwechsel ist sehr berührend. Es ist schwirig Gedanken und Gefühle zu diesem Thema in einen kurzen Beitrag zu fassen. Ich jedenfalls habe das Wünschen noch nicht aufgegeben. Einerseits macht es den Eindruck, als würde die Menschheit immer rücksichtsloser und egoistischer. Andererseits habe ich das Gefühl, dass es seit einiger Zeit eine Trendwende gibt. Schwanger habe ich mich gefragt, in was für eine Welt wir da ein Kind setzen. Die Geburt - das Wunder des Lebens - lässt einen jedoch wieder an Wunder glauben. Und eine unverdorbene Kinderseele lässt hoffen! Wir versuchen jeden Tag auf unterschiedlichste Weisen unseren Beitrag zu leisten. Vor Kurzem habe ich, durch euch inspiriert, auch mit stopfen begonnen.
  • Anja Hassler
    Oh wie schön diesen Briefwechsel zu lesen. Ich habe viele meiner eigenen Gedanken, Gefühle und Ängste darin wiedergefunden . Und ich versuche auch mich nicht runter ziehen zu lassen, sondern das was ich kann besser zu machen. Ganz im kleinen, sicher zu wenig um die Welt zu retten, aber genug um meine Zuversicht zu stärken. Und diese brauche ich für meine Familie. Meine Kinder sind voller vertrauen in das gute, voller Hoffnung und Vorfreude auf die Zukunft. Sie sind interessiert an der Natur und leben und lernen selbstverständlich ihre Gesetzmäßigkeiten. Sie fühlen, schmecken, riechen die Erde, die Früchte, Blüten und Blätter. Sie schöpfen daraus wissen und Kräfte, die sie brauchen um sich ihre Nahrung irgendwann einmal selbst anzubauen. Sie achten und schätzen die Tiere, lernen das sie wichtig sind. Sie fangen an Zusammenhänge zu verstehen. Dafür brauche ich meine Zuversicht, vielleicht braucht die Welt ganz viele dieser Kinder die wieder wissen wie sie mit der Erde umgehen sollen. Und jeder Mensch, von dem ich höre das er ähnlich denkt, macht mit Mut . Danke! Und von dem Buch habe ich gerade heute gelesen, das wurde gleich auf meine Liste der: "vielleicht kann das hier auch einziehen" gesetzt.
  • Lisa
    Ich würde dieses wundervolle Buch meinen Kindern so gerne zu Weihnachten schenken. Sie freuen sich auch immer so sehr über den Schnee.
  • Angela
    Gute Gedanken in schönen Worten in diesem Briefwechsel. Ich glaube, wir müssen alle unsere Kinder lieben und stärken wollen, denn "Viele kleine Leute an vielen kleinen Orten, die viele kleine Dinge tun, können das Gesicht der Welt verändern.". Hoffnung und die Liebe zum Leben, sind großartige Antriebsfedern und der Grund, warum es Kinder gibt. Wenn wir (wieder) lieben ohne Forderungen, Erwartungen, dann werden wir - egal welche Schrecken wir sehen oder hören - immer wieder aufstehen und weiter machen. Lasst unsere Kinder nicht in einer Umgebung von Bedenken, Befürchtungen und Angst aufwachsen. Das Leben ist, wenn man nicht von Krankheit, Tod oder Armut gebeutelt wird, so unfassbar schön! Und es gibt so viele Menschen, die mit daran wirken, sonst gäb es ja auch diese Website nicht.

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