Anlass für diesen kleinen assoziativen Text ist eine Zahl. Über Geld spricht man nicht? Ich will es wagen!

Als ich 2015 mit Räubersachen begann, hatte ich folgendes Ziel im Kopf: ich möchte in Ruhe leben, 1000 € monatlich zur Verfügung haben und vor allem einen sinnvollen Beitrag leisten. Dabei hatte ich für Räubersachen so ein ungefähres Endziel von 9000 € Umsatz pro Monat im Kopf. Falls ihr auf diesem Gebiet nicht so bewandert seid, eine kurze Aufklärung: Der monatliche Umsatz eines Unternehmens sind all seine Einnahmen. Hiervon werden dann alle Ausgaben gezahlt wie Miete, Wareneinkäufe, Kosten für Dienstleister wie bei uns zum Beispiel DHL und Paypal u.s.w. Der Umsatz allein sagt im Grunde nicht besonders viel über ein Unternehmen aus, denn wenn die Kosten im Vergleich zu den Einnahmen sehr hoch sind, kann es sein, dass auch Unternehmen mit sehr hohen Umsätzen eigentlich nicht wirtschaftlich sind, bzw. Minus machen. Das nehmen viele Unternehmen in Kauf, um sich sogenannte Marktanteile zu sichern, womit wir mitten in der vollkommen verrückten und  hochverschuldeten heutigen "normalen" Wirtschaft wären. Für mich (brotlose Künstlerin) waren (und sind) 9000 € im Monat jedenfalls eine ziemlich große Summe Geld und ich konnte mir beim besten Willen nicht erklären, wie das nicht ausreichen könnte, um alle Kosten zu decken und eben am Ende etwas davon für mich zum Leben zu behalten.

Mein Wunschumsatz war schnell erreicht, doch das war leider auch das Einzige von den mir selbst gesteckten Zielen. Ich hatte weder meine Ruhe, noch 1000 € Lohn im Monat. Halt, stimmt nicht! Räubersachen begann einen durchaus wert- und sinnvollen Beitrag zu leisten und dafür ganz viel Zuspruch zu erfahren.
Ich selbst bezog Harz 4 (Danke, wirklich von Herzen danke für diese Möglichkeit lieber Staat!) und wirtschaftete mit den Einnahmen so, dass es möglichst gut für Räubersachen funktionierte. (Inzwischen hat Lisa die Finanzen übernommen, ein Meilenstein!) Erst ganze zwei Jahre später, schenkte ich mir zu meinem 40. Geburtstag den Entschluss, dass ich nun auch Geld für meine Arbeit beziehen wollte, da es doch wesentlich zur Gleichheit innerhalb der Bande beitrug und sich einfach notwendig anfühlte. (Wenn ihr gerade ein Unternehmen gründet - macht es anders!) Leider neigen viele Selbstständige und Unternehmer dazu sich auszubeuten, das war mir überhaupt nicht bewusst, weil das öffentliche Bild ja eher in eine ganz andere Richtung zeigt.

Seit letztem Jahr ist Räubersachen vom Mir-Gehörendem-Einzelunternehmen in eine Purpose GmbH umgewandelt wurden und somit weder verkäuflich noch vererbbar. Räubersachen gehört sich selbst. Wen das interessiert, der kann sehr gern hier weiter lesen: https://purpose-economy.org/ Und wer dann vertiefend noch weiter lesen möchte, kann das gerne hier tun: https://www.dreigliederung.de/


Für uns Räuberbande ist diese Wahl eher intuitiv / logisch gefallen. Der Weg jedes einzelnen Unternehmens mit diesen Werten ist und muss einzigartig und selbstbestimmt sein. (So ist zum Beispiel Ecosia eher hirarchisch strukturiert und Soulbottles eher holokratisch.)

Unser Weg entsteht mal wieder beim Gehen. Die inzwischen ca. 20 Bandenmitglieder haben unterschiedlichste Verantwortungs- und Aufgabenbereiche und damit es überhaupt ein großes Ganzes geben kann, ist (leider) auch Struktur notwendig. Letzte Woche hat unser erstes WILIMU – Treffen stattgefunden. WILIMU: Was ist los in meinem Unternehmen? Der Titel spricht für sich und genau so ist er auch gemeint. Wir saßen erstmals alle zusammen im Kreis und haben über Zahlen, Transparenz, Sorgen und Ziele informiert. Und genau da fiel sie, diese Zahl: Einhunderteintausendsiebenhundertvierundachzig Euro und siebenunddreißig Cent. Unser Umsatz im Januar 2019. Der höchste Umsatz seit es Räubersachen gibt.
Es erfüllt uns mit großer Freude und wirklichem Stolz: Wir zwanzig Menschen und ihr vielen, vielen wundervollen Nutzer von Räubersachen, haben diese 100.000,00 € auf die „helle Seite der Macht“ gezogen. Das ist Mega Hammer Super Ober Geil!

Vielleicht denkt ihr jetzt: Woah krass, soviel Geld! Das denke ich auch und andererseits auch wieder nicht, wenn ich sehe wieviel Steuern (19%), DHL (ca. 10.000,00 €)  u.s.w u.s.f. davon abgezogen werden. Unseren Lohn jedenfalls sehen wir nicht als Ausgabe, sondern als beste Investition ever. (Stefan Hiene, ich feire Dich!)
Wir sind inzwischen bei dem gesetzlich vorgegebenem Mindestlohn von 9,19 € pro Stunde angelangt und ich bin ehrlich: Das ist auf lange Sicht nicht wirklich zufriedenstellend. Es ist gut und ich bin sehr dankbar darüber, dass es überhaupt so ist und die ganze Bande wünscht sich mehr Lohn und daran arbeiten wir gemeinsam. Was heißt gemeinsam?

Jeder schaut in seinem Bereich und bei seinen Aufgaben, was er/sie dafür tun kann. Ihr wisst schon: viele kleine Schritte an vielen kleinen Orten... Mit persönlich hilft dabei gerade das Buch Essentialismus von Greg McKeown. Immer wieder frage ich mich, was jetzt gerade wesentlich ist, was jetzt gerade der größte Beitrag ist, wie ich jetzt gerade der gemeinsamen Sache am besten dienen kann. Ich bin zuversichtlich, dass wir euch noch in diesem Jahr freudestrahlend von einer Lohnerhöhung berichten können. (Wenn Räubersachen das sehr gefürchtete Sommerloch überlebt hat! Bitte schafft euch Guthaben an, das hilft uns total!)

Noch etwas zum Lohn: bei Räubersachen verdienen seit dem ersten Tag alle gleich viel Geld pro Stunde. Egal, ob sie den Müll rausbringen, an der Technik feilen, Wäsche waschen, Fotos machen, Essen kochen, Geschäftsführer sind, Pakete ein-oder auspacken oder einen Text schreiben. Und es gibt keine (Leistungs- oder sonstige) Prämien, denn wir wollen, dass jeder möglichst seiner intrinsischen Motivation, seinen Werten und natürlich auch seiner Freude folgt. Diese Lösung ist ein Zwischenstand und noch nicht das Ende der Fahnenstange denn: natürlich wäre es hinreißend, wenn Geld und Arbeitszeit unabhänig voneinander wären, wenn da viel mehr innere und äußere Freiheit möglich wäre, wenn jeder einfach bekäme, was er braucht. Im Moment ist dies unser Stand und uns ist noch keine bessere und gemeinschaftlichere Idee eingefallen, die auch praktikabel ist.

Unser Umgang mit dem Lohn wirft viele Fragen auf: Ist es nicht unfair, wenn jemand viel mehr Pakete in der Stunde packt als ein anderer und doch genau so viel Geld für diese Stunde bekommt? (Bisher haben wir nie Zahlen erhoben, damit fangen wir gerade erst an.) Ist es nicht unfair, wenn jemand für eine Tätigkeit erst studiert hat und jemand anderes nicht und der Lohn gleich ist? Und was ist mit der Ungleichheit von Alleinerziehenden und Bandenmitgliedern mit Kindern? Und wofür gibt eigentlich jeder sein Geld so aus? Und wen geht das überhaupt etwas an? Fragen über Fragen und Antworten so unterschiedlich wie wir Menschen sind.
Auch wenn es nicht das Optimum ist, wir sind auf einem guten Weg aus der Leistungs- und Ellenbogengesellschaft. Aus leistungsbezogenen Einzelkämpfern werden Menschen, die sich selbst, untereinander und der Sache für die sie arbeiten, verbunden fühlen, ganz gleich, was sie dazu beitragen. Es gibt keinen alleinigen Gewinner, wir sitzen alle im selben Boot. Das trifft genauso auf uns Räuberbande zu, wie auf unsere Welt im Ganzen.

Für diesen Weg sind persönliche Entwicklung und ehrlicher, direkter Austausch unumgänglich. Alte Muster und Wunden werden bei unserem täglichen Miteinander sichtbar: das Sich-Nicht-Gut-Genug-Fühlen, Unsicherheiten, Ängste, Mangeldenken, Überheblichkeit, Es-Besser-Zu-Wissen, Helfen-Zu-Müssen und viele mehr. Es ist ein spannendes und wunderschönes Abenteuer dieses Räuberbandenleben und jetzt schließe ich meine Erzählungen mit dem Trinkspruch:
Hoch die Tassen, lasst uns anstoßen und feiern, auf die 101.784,37 € und auf alles andere auch! (Astrid)

Kommentare (5)
  • Doro
    Danke für so viel Transparenz! Unglaublich wie wenig man normalerweise über Unternehmen und ihre Finanzierung weiß und wie wertvoll, dass ihr das teilt! Danke! Und wenn ich nochmal denke, dass eine Monatsmiete zu teuer für mich ist, dann werde ich an diesen Text denken und neu abwägen!
  • Nicola
    Wow, Danke! Bin gerade erst auf euch gestossen, und wenn ich vorher unsicher war, ob ich weiter Second Hand kaufe, oder bei euch miete, ist die Entscheidung mit diesem Artikel gefallen! ? tolle Arbeit, tolle Vorbilder, danke dafür.
  • Astrid
    Ich habe gerade das erste Mal von euch gehört und bin nach etwas rumstöbern auf diesen Text gestoßen...meinen Konsum und meine Art mit Ressourcen umzugehen hat sich in den letzten zwei-vier Jahren stark verändert und ich stelle immer wieder fest, dass noch ganz viel Luft nach oben besteht! Das zeigt mir zum einen Räubersachen.de und vor allem aber dein Text...ich bin sicher, jeder der Teil dieses Unternehmens ist, kann stolz sein. Danke für soviel Transparenz! Herzlichste Grüße, Astrid :)
  • Marie
    Danke. Für die initiale Idee, das Durchhalten und diesen schönen Text :) Ich hoffe, ihr werdet mich und meine Kinder noch lange begleiten! Etwas zum Sommerloch: Warum nehmt ihr nicht mehr luftige, nachhaltige Kleidung mit ins Programm. Kleidchen und Shorts aus Leinen z.B.? T-Shirts? Ihr werdet schon etwas finden! Alles Gute und herzliche Grüße!
  • Kerstin
    Huhu, ihr Lieben. DANKE für das Tolle, was ihr leistet! Ihr habt definitiv mehr verdient als den Mindestlohn. Traut euch. Gerne würden wir euch unterstützen mit dem Mieten von Kleidung auch für unsere Große – Das wäre Gr. 152/158). Es ist sooo schwer, für sie GUTE Kleidung zu finden! Hatte vor einem Jahr oder so schonmal angefragt, vielleicht gibt's ja inzwischen News auf dem Ökokleidungs-Markt bzgl. Klamotten größer als 116 ... ? Liebe Grüße aus Stuttgart schickt euch Kerstin vom Laboratorium für Nachhaltigkeit :-)

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