Es ist vier Uhr morgens. Ich bin aufgewacht und ausgeschlafen. So nutze ich diese frühe, vogelbesungene Morgenstunde

für eine persönliche Reise durch die letzen zwei Jahre Räubersachen. Vielleicht ergeht es manchen von euch ähnlich

und ihr findet euch plötzlich in Situationen wieder, die ihr nie so für euch vorgesehen habt und die euch unglücklich machen.

Nur Mut, es ist möglich neue Wege zu gehen! Was tun, wenn die eigentliche Intension, mit der man eine Sache begonnen

hat, immer weniger mit der Realität übereinstimmt? Was tun, wenn man sich plötzlich als Chefin von drei Angestellten

und einer Handvoll freier Mitarbeiter wiederfindet? Was tun, wenn einen das Projekt selbst, aber nicht die Rolle, in die man

da geschlüpft ist, glücklich macht?

 

Wie bestimmt schon die meisten von euch wissen, war ich im Winter 2015 weder auf der Suche nach einer Gründungsidee,

noch hatte ich Lust Vollzeit zu arbeiten, denn mein Sohn war gerade einmal zwei Jahre alt geworden. Wir stillten zu diesem

Zeitpunkt noch sehr viel und waren Tag und Nacht unzertrennlich. Sogar wenn ich zum Zahnarzt ging, kam M. mit und saß auf

meinem Schoß. Die Eingewöhnung in den wirklich wunderbaren Kindergarten, hatte ich nach einem Besuch dort verschoben,

denn schon allein der Gang durch die Räumlichkeiten und die Vorstellung ihn dort zu lassen ließ mich in Tränen ausbrechen.

Ich wollte noch nicht wieder so viel arbeiten, sondern lieber damit fortfahren:


Und dann eines Abends ganz plötzlich und unerwartet, war sie da, die Idee zu Räubersachen und ich musste, ja wirklich musste,

sie in die Welt bringen. Es war überhaupt nicht nötig mit jemandem darüber zu sprechen oder mir Rückenstärkung zu holen.

Es war einfach nur nötig anzufangen und so habe ich zwei Tage darauf ein Gewerbe angemeldet und los gelegt. Ohne Buisiness Plan,

ohne Kalkulationen, ohne Onlineshoperfahrungen, eigentlich auch ohne Geld, aber mit unendlich viel Begeisterung, Schaffenskraft,

Liebe und einem richtig gutem Stern, unter dem das alles entstehen durfte und der nach wie vor für Räubersachen strahlt.

Ich kaufte den allergünstigsten Onlineshop, erstellte zum ersten Mal eine Facebookseite, handelte mit meiner Familie ein leeres

Zimmer (innerhalb unserer 4 Raum Wohnung) aus, fand Regale beim Trödler, überzeugte Hersteller (oder auch nicht), bekam völlig

unerwartet etwas Geld angeboten und Tag für Tag, oder besser Nacht für Nacht nahm die Idee Gestalt an, bis ich Mitte Mai

eine Rundmail an alle Freunde und Bekannten schrieb, dass es jetzt an der Zeit sei, ihnen von Räubersachen zu erzählen und da

fängt das Abenteuer eigentlich erst an.


Oh die ersten Wochen waren so schön! Räubersachen war geboren und bei jeder Bestellung machte ich Freudentänze. Es war so

aufregend und wunderbar, dass die Idee bei euch so gut angekommen ist. Unseren Sohn meist schlafend in der Rückentrage

war Räubersachen für die ersten Monate ein Ein-Frau-mit Kleinkind-Unternehmen, bis …, ja bis ich es einfach nicht mehr geschafft habe.

Ich brauchte dringend Hilfe und meine Mutter und Magnus begannen mir zu helfen.


Schnell, für mich viel zu schnell, brauchte ich noch mehr Hilfe, denn der gesamte Workflow mit dem allergünstigsten Onlineshop

war dermaßen uneffektiv und aufwändig, dass dies nur mit enormem zeitlichen Aufwand zu bewältigen war. Und so weiter und so fort

und eh ich mich versah musste es einige freie Mitarbeiter geben, um Räubersachen überhaupt aufrecht erhalten zu können und die

Geschichte nahm ihren Lauf. Auf einmal war ich in einer leitenden Position, war ich diejenige, die (ständig!) gefragt wurde und die Antworten

dazu finden und geben musste. Um es kurz zu machen: Über ein Jahr lang kämpfte und zweifelte, mühte und plagte ich mich mit meiner

neuen Rolle als „Chefin“ herum und immer, wenn mich tatsächlich jemand so nannte, war es wie ein Schimpfwort für mich. Ich lernte sehr

viel über mich selbst: zum Beispiel, dass es mir schwer fällt mich durchzusetzen, klare Ansagen zu machen, Erwartungen genau zu

formulieren, Ansprüche zu stellen, auf den Tisch zu hauen. Ich lernte, wie sehr ich geliebt werden will und wie schwer ich Konflikte aushalten

kann. Ich litt an der Verantwortung, die ich für „meine Mitarbeiter“ übernommen hatte, an den (meist inneren) Auseinandersetzungen,

weil ich es versäumt hatte Dinge offen und ehrlich anzusprechen. Ich hatte Angst zu jemandem zu werden, der ich nicht sein möchte. Ich

fühlte mich unsicher und unwohl, doch ich redete mir ein „da hineinwachsen“ zu können, es schon „irgendwie zu lernen“ und am allermeisten

litt ich an der Einsamkeit. Denn so sehr ich mir die Gleichheit unter uns allen wünschte - sie war real nicht vorhanden. Ich zauderte und lernte,

las viele Bücher über Führung, arbeitete hart an mir selbst und versuchte mich irgendwie in diese Rolle hineinzufinden. Ich musste das doch,

denn es ging ja schließlich um mein geliebtes Räubersachen!


Im Januar diesen Jahres hatte ich so dermaßen genug davon mich selbst zu quälen und etwas von mir zu verlangen,

was so offensichtlich nicht in meiner Natur und Bestimmung lag. Ich war so unglücklich und kraftlos und freudlos.

Räubersachen war mir zu groß geworden und zuviel und ich hatte keine Ahnung, wie es weitergehen konnte, nur die

Gewissheit, dass es so nicht weitergehen sollte. Und so stellte ich endlich mein eigenes Bedürfnis über das von Räubersachen.

Ich entschied, dass ich kein Chef mehr sein wolle. So schwer war das für mich! Ich entschied es aus purem Selbstschutz.

Und kurz darauf versammelte ich meine vier engsten Mitarbeiter und Begleiter um mich und gab weinend bekannt, wozu ich

mich schweren Herzens entschlossen hatte. Sogar auf die Gefahr hin, dass Räubersachen damit ernsthaft auf dem Spiel steht.

Es ging nicht anders. Die Bande nahm es interessiert, stöhnend und verunsichert zur Kenntnis. Mein Anfrage und das Angebot

zu mir ins Boot zu steigen und Räubersachen gleichberechtigt! zu führen wurde dankend, aber auch skeptisch entgegen

genommen. Sie baten sich eine Woche Bedenkzeit aus und ich war erstaunlicherweise die Ruhe selbst. Es war raus und alles

was nun kam, war besser, als das was vorher war. So jedenfalls fühlte es sich für mich an.


Na und wisst ihr was dann passiert ist? Sie haben JA gesagt! Alle vier haben JA gesagt! JA! Hurra! Mir ist solch eine Last

von den Schultern gefallen! Könnt ihr euch das vorstellen?

Seit Januar sind wir in einem wirklich schönen und sehr spannenden Prozess miteinander, der vor allem erst einmal mit

vielen Fragen begonnen hat. Wie tauschen wir uns aus und wie gehen wir mit Schwierigkeiten um? Welche Rechtsform wählen

wir für Räubersachen? (Wenn ihr Erfahrungen oder Tips dazu habt, bitte so gern her damit, denn wir sind immer noch

unentschieden ob wir eine Genossenschaft oder einen Verein gründen oder doch besser eine GmbH.) Was sind unsere gemeinsamen

Werte und Ziele? Welche Vision haben wir? Wir haben Bücher gelesen, wie zum Beispiel das richtig gute „Reinventing Organizations“

von Frederic Laloux und es tut so gut zu spüren, dass auch hier die Welt im Wandel ist. Das Unternehmen ihre Strukturen überdenken

und neu schaffen und dass der Sinn, weshalb man das eigentlich tut, der wesentliche Motor ist anstelle von Geld oder Macht.

Bei unseren wöchentlichen Treffen begleiten uns zwei Glocken und ein Kinderstuhl. Die Rezeptionsglocke steht für „Wir kommen

vom Thema ab.“, was regelmäßig und häufig geschieht, denn es gibt soviel Austauschbedarf zu den unterschiedlichsten Themen.

Die Zimbeln aber dienen der Aufmerksamkeit, dass es uns um die Sache selbst geht. Wann immer ein Ego zum Vorschein kommt,

um Recht zu haben, es besser zu wissen, oder Vorwürfe und Ungerechtigkeiten zu verbreiten, werden die Zimbeln angeschlagen.

Bislang war das nur ein einziges Mal so und sie klingen ganz wundervoll. Ein hoher, klarer und lang anhaltender Klang, während dessen

jeder in sich gehen kann, um zu spüren, worum es gerade eigentlich geht und wofür oder wogegen man gerade kämpft. Ja und der

Kinderstuhl steht für Räubersachen. Mit zwei Jahren sitzt man eindeutig noch auf einem Kinderstuhl. Wann immer wir die Sichtweise

von Räubersachen für eine Entscheidung oder eine Diskussion brauchen, setzt sich einer von uns auf diesen Stuhl und spricht aus der

Sicht von Räubersachen. So merken wir ganz schnell, ob wir alle im Sinne des Unternehmens fühlen, denken und handeln oder Räubersachen

gerade etwas ganz anderes von uns benötigt, als wir selbst. Dieser Abgleich ist immer wieder sehr wichtig, denn die Zeiten sind vorbei,

in denen Räubersachen und Astrid eins sind und so bekommt Räubersachen auch eine Stimme.


Unser Prozess ist alles andere als leicht, denn Räubersachen wirtschaftlich zu gestalten, es auf eigene Füße zu stellen und

organisch wachsen und gedeihen zu lassen, ist trotz all der Unterstützung eine wahnsinnig große Aufgabe. Wir arbeiten viel

und manchmal mehr als uns gut tut. Wir sind dankbar und wir sind auch erschöpft und frustriert. Wir streiten uns, wir

lachen und wir weinen. Wir unterscheiden uns und wir verändern uns. Wir wachsen. Wir geben auf und wir fassen neuen Mut.

Für mich ist es pures Glück Räubersachen so gemeinschaftlich zu erleben. Ich liebe unsere Runden und die Weisheit der

Gruppe und ich bin zutiefst dankbar dafür. Astrid.



 

Kommentare (1)
  • Henry
    Hallo Astrid, habt ihr inzwischen eine Form gefunden? Wenn nicht, guckt euch mal die UG (Untermehmergesellschaft) an. Die Gründung ist unkompliziert und nicht sehr kostenintensiv. Verein und Genossenschaft hatten wir auch mal angedacht. Ist aber alles recht kompliziert. Bei einer GmbH müsst ihr bilanzieren, das kostet mehr. Kannst mich gerne auch mal anrufen. Wir haben jetzt 1,5 Jahre ein ähnliches Prozedere durch, wobei von Anfang an klar war, dass es keinen Chef geben soll. ;-)

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